Weitgehend unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit und ohne große Ankündigungen in der Presse hat das Eisenbahnbundesamt (EBA) mitten in der Urlaubszeit die „3. Lärmaktionsplanung“ deutschlandweit ausgerufen. Die Frist für eine Abgabe von „(Bahn-) Lärmmeldungen“ läuft bei dieser wahrhaftigen „Flüster-Kampagne“ bereits am 25.08.2017 ab: Mit einer verheerend geringen Beteiligung der bahnlärmgeschädigten Bevölkerung muss gerechnet werden.
Warum ist das so ? Hat das EBA aus den bisherigen Befragungsaktionen nichts gelernt ?
Anlässlich der zurückliegenden „Lärmaktionen 1 und 2“ (in den Jahren 2008 und 2013) war bei vielen Bahnlärmgeschädigten bereits der Eindruck entstanden, dass das EBA eventuell gar kein großes Interesse an der Erfassung der detaillierten Lärmsituation an den bundesweiten Brennpunkten haben könnte, und deshalb zum wiederholten Male den Weg einer extrem nutzerunfreundlichen Befragungsaktion ohne hinreichende öffentliche Bekanntmachung geht.
Soll durch diese Art der Befragung eventuell gar ein „Wunschergebnis“ produziert werden ? Gehört dazu u.U. auch eine möglichst geringe Resonanz der betroffenen Bürger ??? „AKTIONEN“ – wie die Bezeichnung „LärmAKTIONSplanung“ ja wohl nahelegen soll – sind aus den zurückliegenden Befragungen jedenfalls NICHT hervorgegangen.
Hier die Zusammenfassung unserer Kritikpunkte an der „3. Lärmaktionsplanung“:
- Die Befragung erfolgt während der Haupturlaubszeit
- In den Medien ist die Aufforderung zur Teilnahme nur mit mageren Ankündigungen in der Presse erfolgt. Viele Betroffene wissen gar nicht, dass es die Befragung gibt und haben keine Information was sie bewirken soll
- Viele Menschen kennen sich mit Online-Befragungen im Internet nicht aus und zögern daher mitzumachen. Die Notwendigkeit sich anzumelden und einzuloggen, die Angabe privater Daten, die Angst vor einem Eingriff in die Privatsphäre ist wie bei allen Online-Befragungen sehr groß
- Die Möglichkeit, sich den Fragebogen als Papier schicken zu lassen und ausfüllen zu können, ist für den Laien nicht auf den ersten Blick zu erkennen und stellt eine große Hürde dar. Warum wurde nicht die Möglichkeit geschaffen, sich auch telefonisch beteiligen zu können?
- Die Erfahrung mit den vergangenen Lärmaktionsplänen 2008 und 2013 war für die Betroffenen sehr negativ, weil in der Folge keinerlei Lärmschutzmaßnahmen beschlossen oder gar durchgeführt wurden – das aber wäre Sinn und Zweck der Lärmaktionsplanung und wird von den beteiligten Bürgern und Kommunen auch erwartet.
- Es fehlen Fragen zu den gravierenden Wirkungen des Bahnlärms auf das Wohnen und Arbeiten in der Nähe der Gleise, obwohl einschlägige Sachverständigengutachten die Gesundheitsgefahren der Immissionen belegen
- Weder die betroffenen Kommunen, noch Bürgerinitiativen oder Umweltverbände können sich formal an der Befragung beteiligen
- Vorschläge zu Lärmminderungsmaßnahmen können von den Befragten nicht eingebracht werden
- Am Ende der Präsentation des EBA steht erneut, dass diese Umfrage nicht zu Lärmschutzmaßnahmen führen wird, weil das EBA dafür angeblich gar nicht zuständig wäre. Das ist erneut keine Motivation, sich an der Umfrage zu beteiligen
Also, wozu dann das Alles ? Wieder mal nur „Hinhalte-Taktik“ und eine „Alibi-Aktion“, die zum x-ten Male die Opfer des stetig zunehmenden Bahnlärms vertrösten soll ?
Mögen sich die Bürger selbst ein Urteil bilden!
Die bereits vorhandenen Kartierungen des EBA zeigen jedenfalls schon heute unmissverständlich die unhaltbare Lärmsituation an den Lärmbrennpunkten auf!
Hier der Bahnlärm-Brennpunkt „Oberwesel“:
http://laermkartierung1.eisenbahn-bundesamt.de/mb3/app.php/application/eba
Zur Erläuterung: Die Farbskala von „lila“ bis „dunkelrot“ kennzeichnet extreme Lärmpegel, die laut Arbeitsschutzgesetz mit ihren Spitzenwerten an jedem Arbeitsplatz verboten wären, im bahnlärmgeplagten Mittelrheintal jedoch, mittels des sog. „Bestandsschutz,“ vom Gesetzgeber der DB AG bis auf den heutigen Tag – auch während der Nachtstunden – zugestanden werden. Ein politischer Skandal ersten Ranges und ein klarer Verstoß gegen das Grundrecht auf „Körperliche Unversehrtheit“, wie die zahlreich vorliegenden wissenschaftlichen Studien zur gesundheitsschädigenden Wirkung von Bahnlärm belegen!
Daher können unsere Forderungen im Wahljahr 2017 nur lauten:
Siehe hierzu auch „Forderungen zur Bundestagswahl und Stimmen der Parteien“ ( unser Beitrag v. 22.07.2017 auf dieser Website)
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Links zur „3. Lärmaktionsplanung des Eisenbahnbundesamts“:
Link zur Website des EBA:
https://www.laermaktionsplanung-schiene.de/eisenbahnbundesamt/de/home
Link zur Internet-Registrierung:
https://www.laermaktionsplanung-schiene.de/ecm-politik/eisenbahnbundesamt/de/home/login
Papierfragebogen:
Download als .pdf: Fragebogen_1_Phase_ÖB
Link zum Fragebogen auf der EBA-Website:
https://www.laermaktionsplanung-schiene.de/ecm-politik/eisenbahnbundesamt/de/home/file/fileId/104/name/Fragebogen_1_Phase_%C3%96B.pdf
Nachfolgend noch ein Artikel der F.A.Z. aus dem Jahr 2016, der das Dilemma des Schienen-Gütertransports ausführlich beschreibt:
.pdf-Download: FAZ 17.10.2016
FAZ, 17.10.2016
Bahnlärm Es rattern die Züge bei Tag und bei Nacht
„Güter gehören auf die Bahn“, das klingt weitsichtig und umweltfreundlich. Es sei denn, man betrachtet die akustische Seite dieses Transportmittels – und manche Realitäten des deutschen Schienennetzes.
17.10.2016, von Gottfried Ilgmann
Am 1. Juni dieses Jahres wurde der Gotthard-Basis-Tunnel eingeweiht. Durch diesen mit 57 Kilometer Länge längsten Tunnel der Welt kann ein Güterzug von bis zu 700 Meter Länge von nur einer einzigen Lok unter den Alpen hindurch gezogen werden. Damit ermöglicht die Röhre eine Flachlandstrecke von Genua bis zu den Häfen Amsterdams, Rotterdams und Antwerpens und bedient einen Einzugsbereich, in dem schätzungsweise die Hälfte der westeuropäischen Industrie versammelt ist. Die Schweiz hat sich das Bauwerk denn auch 12,2 Milliarden Franken kosten lassen, etwa 1,9 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes. Das ist, als wenn Deutschland knapp 60 Milliarden Euro für ein einziges Projekt ausgeben würde.
Auf der Einweihungsfeier mahnte die Schweizer Bundesrätin für Verkehr, die Schweiz zähle nun darauf, dass die Ausbauten vorangetrieben werden. Daraufhin erklärte die ebenfalls anwesende Angela Merkel: „Der Gotthard ist wie das Herz, nun fehlt noch die Aorta.“ War der Kanzlerin bewusst, dass die Aorta, nämlich die deutsche Rheinschiene von Basel bis zur niederländischen Grenze, über Jahrzehnte hinweg eine Gefäßverengung nach der anderen erleiden wird?
Aufstand in Offenburg
Tatsächlich dürfte die Bundesrätin vielleicht schärfere Töne angeschlagen haben, hätte sie zuvor in den deutschen Bundesverkehrswegeplan geschaut. Dieser weist die deutschen Investitionen in die Schiene bis zum Jahr 2030 aus, sein Entwurf wurde im März 2016 durch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt vorgelegt. Danach wird zum Beispiel am Oberrhein die letzte Engstelle frühestens 2035 beseitigt sein. Ursache ist eine spezifische Eigenschaft der Güterzüge: Sie sind ohrenbetäubend laut.
Das macht jedes Ausbauvorhaben zum Politikum. Die Stadt Offenburg am Oberrhein etwa wehrte sich gegen die Erweiterung der Bahnstrecke von zwei auf vier Gleise, und das so heftig, dass man sich schließlich im Juni 2015 auf eine Tunnellösung statt auf die ursprünglich geplante oberirdische Führung einigte. Es solle „so weit wie möglich ein Vollschutz vor Lärm angestrebt werden“, war dazu in der Stuttgarter Zeitung zu lesen. Kostenpunkt: 1,2 Milliarden Euro für einen sieben Kilometer langen Güterzugtunnel unter der Stadt. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nannte das einen „Paradigmenwechsel“.
Lärmschutz als Ordnungswidrigkeit
Nun verlangt die Bundeshaushaltsordnung aber „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“. Ein „Vollschutz“, also alles, was über den gesetzlich vorgeschriebenen Lärmschutz bei Neu- und Ausbau hinausgeht, verstößt gegen die Verordnung. In Offenburg musste deswegen eine adäquate Gesetzesauslegung her, und inzwischen können sich alle Bürger „Vollschutz“ erstreiten, die an europäischen Verkehrskorridoren vom Neu- und Ausbau betroffen sind. Interessant ist aber die Begründung, mit der die Regierungskoalition ihren Vollschutz beantragte: „Laute, schnelle Güterzüge seien lediglich im europäischen Gesamtinteresse“, trügen aber nichts bei zu den „Wertschöpfungspotentialen für die jeweilige Region durch bessere Erreichbarkeit“. Regionales siegt also über überregionales Interesse. Der Ausbau für den europäischen Güterverkehr wird damit weitgehend nur in Tunneln oder abgedeckten Trögen realisierbar sein – oder verhindert.
Das schmerzt, denn gerade lang laufende Güterzüge haben den größten Systemvorteil gegenüber Lkws. So aber kostet der Ausbau des Schienentransports enorme Summen und – schlimmer noch – unglaublich viel Zeit. Für den Offenburger Tunnel schrieb die Bahn die Planung im März 2016 aus. Bis zur Inbetriebnahme wird es zwanzig Jahre dauern, obwohl es sich nur um eine ergänzende Maßnahme zum Gesamtprojekt Basel-Karlsruhe handelt. Da fragt sich, wie das bis 2030 prognostizierte Anschwellen der Güterströme bewältigt werden soll. Vermutlich werden Milliarden Tonnen auf der Straße landen: auf Konvois überlanger Laster.
Lärm in Zahlen
Kern der Misere ist der Lärm. Ein mit 80 Kilometern pro Stunde vorbeifahrender Güterzug verursacht in 7,5 Meter Entfernung 96 dB A. Dabei steht das B für „Bel“, eine Maßeinheit für den Schalldruck. Genauer gesagt ist es der Zehner-Logarithmus des Verhältnisses aus gemessenem Schalldruck und dem Schalldruck an der Hörschwelle. Diese Definition geht auf den Schotten Alexander Graham Bell zurück, der auch dadurch berühmt wurde, dass er Ende des 19. Jahrhunderts den Fernsprecher zur Marktreife entwickelte.
Mit „dB“ wird ein Dezi-Bel, also ein Zehntel Bel, bezeichnet. Und das seltsame „A“ signalisiert, dass der Wert des Schalldrucks entsprechend seiner Wirkung auf das menschliche Gehör „bewertet“ wurde. Bei hohen Frequenzen reagiert unser Ohr nämlich empfindlicher auf eine Erhöhung des Schalldrucks als bei niedrigeren. Das „A“ zeigt an, dass dieser Umstand durch eine frequenzabhängige Erhöhung oder Senkung des Dezibel-Wertes berücksichtigt wurde. Damit kann die Lärmbelastung von Menschen klar quantifiziert werden: Der Lärmpegel eines Güterzuges von 96 dB A in 7,5 Meter Entfernung entspricht fast dem Lärm eines Presslufthammers oder einer Kreissäge in unmittelbarer Nähe.
Das Problem sind die Bremsen
Warum aber sind Güterzüge dermaßen laut? Weil die meisten noch Klotzbremsen haben wie einst die Pferdekutschen; nur Personenzüge wie der ICE werden mit Scheibenbremsen zum Stehen gebracht. Die Bremsklötze – die Eisenbahner nennen sie „Bremssohlen“ – bestehen traditionell aus Gusseisen, sogenanntem Grauguss, und rauhen beim Bremsen die Laufflächen der Räder auf. Die aufgerauhten Räder wiederum malträtieren die Laufflächen der Gleise. Ein Güterwagen mit rauhen Rädern auf aufgerauhten Gleisen erzeugt dann den Höllenlärm vorbeifahrender Züge.
Bis zum Jahr 2020 sollen alle in Deutschland registrierten Güterwagen, die durch das Mittelrheintal fahren, mit sogenannten LL- oder K-Sohlen ausgerüstet sein, die nicht mehr die Laufflächen von Rad und Schiene aufrauhen. Der Schallpegel würde dadurch um bis zu 10 dB A sinken, sofern die Gleise jedes Jahr akustisch vermessen und gegebenenfalls nachgeschliffen werden. Die Absenkung um 10 dB A bedeutet eine Halbierung der Lärmemission – eine deutliche Entlastung, dazu noch die preiswerteste, die allen Anrainern von Güterzügen zugute kommt. Aber ausreichend ist diese Maßnahme keineswegs.
Das zeigt ein Blick auf das Rheintal zwischen Bingen und Koblenz, das „Welterbe Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal“. Wer dort aussteigt, den erwartet ohrenbetäubender Krach. In nur geringer Entfernung vom Gleis hört man die Züge auf der eigenen Rheinseite fast ebenso laut wie die auf der gegenüberliegenden, verursacht durch die Reflexion des Schalls infolge der engen Tallage. Durch das Mittelrheintal rollen heute täglich bis zu 300 Güterzüge sowie 150 Personenzüge. Das verraten die beiden Messstationen für Bahnlärm, die rund 20 Kilometer südlich von Koblenz auf beiden Seiten des Rheins installiert sind. Die Einwohner macht das krank. Zehntausende sind bereits geflohen, ihre Häuser sind oft unverkäuflich. Den gelungenen Aufstand der Offenburger für „Vollschutz“ dürften sie voller Neid registrieren. Die Gleise vor ihrer Haustür genießen stattdessen „Bestandsschutz“ im Sinne der Bahn: Die Anrainer haben keinen Anspruch auf Lärmminderung. Investitionen erfolgen nur freiwillig nach Kassenlage des Bundes. Aber hohe Schallschutzmauern würden das Weltkulturerbe grauslich aussehen lassen und wegen der Schallreflexion ohnehin nur eingeschränkt wirken.
Ein Blick in die Lärmkarten des Eisenbahn-Bundesamtes zeigt das Elend des Weltkulturerbes in Bad Salzig, dem südlichen Ortsteil von Boppard. Erst einen Kilometer Luftlinie von den Bahngleisen entfernt unterschreitet der nächtliche Dauerschallpegel die 45 dB A. Die Bebauung beiderseits der Gleise ist nachts einem Dauerschallpegel von über 70 dB A ausgesetzt. Das ist mehr als zu viel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt zum vorbeugenden Gesundheitsschutz Dauerschallwerte an der Hauswand von maximal 55 dB tagsüber und 40 dB nachts.
Um solche Dauerpegel zu berechnen, wird die Energie aller Einzelpegel addiert. Dann wird ermittelt, welche Pegel, die gleichmäßig über den jeweiligen Zeitraum anhalten würden, die gleiche Energie aufweisen. Man nennt die so errechneten Werte auch energieäquivalente Dauerschallpegel. Übrigens erlaubt die geltende 16. Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes von 1990 bei Neubau in Wohngebieten noch Dauerschallpegel von maximal 59 dB A tagsüber und 49 dB A nachts – hinkt also den WHO-Empfehlungen deutlich hinterher.
Die drei Regeln der Lärmaddition
Die Dauerpegel illustrieren jedoch noch gar nicht das ganze Problem des Bahnlärms im Rheintal. Auch gelegentliche extreme Einzelschallpegel, die ein Aufwachen aus dem Schlaf praktisch garantieren, sowie Schäden an der Bausubstanz infolge von Schwingungsübertragungen lassen es angezeigt sein, etwas gegen den Güterzuglärm zu unternehmen.
Tatsächlich sollen bis 2020 alle deutschen Güterwagen auf leise Bremsen umgestellt sein. Gerade auf der Rheinschiene rollen jedoch die meisten ausländischen Güterwagen, insbesondere aus Südeuropa. Befinden sich in einem Zugverband nur wenige laute ausländische Güterwagen, ist der Effekt gering. Ist die Hälfte laut, senkt die leise Hälfte den Pegel nur um drei Dezibel A. Damit ist er nur unmerklich leiser als ein Zug ganz aus lauten Waggons.
Das liegt an der logarithmischen Natur der Dezibel-Skala, die vielen messtechnischen Laien ungewohnt ist. Für sie hat Markus Hecht, von der TU Berlin drei Additionsregeln des Schalls formuliert. Die erste besagt: Laut und laut ist laut. Wenn sich zwei gleichermaßen geräuschvolle Güterzüge begegnen, hört sich das fast ebenso laut an, als wenn nur ein solcher Zug vorbeifährt. Denn unser Ohr kann die erwähnte Schalldifferenz von drei Dezibel A nur mit Mühe unterscheiden. Die zweite Hechtsche Regel heißt: Laut und leise bleibt laut. Wenn nur eine Hälfte der Güterwagen aus Deutschland bis 2020 leise ist, aber die andere Hälfte aus dem Ausland noch laut ist, dann ist der Zug fast ebenso laut wie früher. Die dritte Regel schließlich lautet: Nur leise und leise ergibt leise.
Weder kleine Schritte noch große Schritte alleine zeigen also eine ausreichende Wirkung. Diese stellt sich vielmehr erst dann ein, wenn alle Schritte getan sind. Diese dritte Hechtsche Regel ist die große Herausforderung für jede Art von Schallschutz. Und aus ihr folgt, dass erst sehr lange investiert werden muss, ehe die Wirkung befriedigt – ganz schlecht für PR-Floskeln wie die, man sei „bereits auf einem guten Weg“.
Die Miteuropäer mauern
Deutsche Wagenhalter bekommen eine staatliche Förderung, um ihre Güterwagen umzurüsten. Doch welchen Anreiz sollte zum Beispiel Bulgarien haben, die Umrüstung seiner Güterwagen zu fördern? Um auf der langen Fahrt von Bukarest nach Antwerpen den Anwohnern eines 50 Kilometer langen Abschnittes im Mittelrheintal etwas Gutes zu tun?
Deshalb will Alexander Dobrindt von 2020 an laute Güterwagen auf diesem Abschnitt verbieten. Aber die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat ihm bereits geschrieben, ein Verbot sollte „nicht einseitig ab 2020 angewendet werden“. Es müsse „vielmehr mit der breiten gesamteuropäischen Lösung, die nach 2021 umgesetzt sein sollte“, in Einklang stehen. Frau Bulc wird auch kaum eine prohibitive Schienenmaut für laute Güterzüge akzeptieren. Ein noch hartnäckigerer Verweigerer eines Verbots wird die Otif sein. Diese „Organisation intergouvernementale pour les transports internationaux ferroviaires“ reicht deutlich über den EU-Raum hinaus, nämlich bis nach Asien und Nordafrika. Sie wurde 1985 gegründet, um den internationalen Eisenbahnverkehr nach einheitlichen Vorgaben zu ermöglichen. Die Mitgliedsländer werden (mit wenigen Ausnahmen) nicht gewillt sein, in die Umrüstung ihrer Güterwagen zu investieren, damit es in Deutschland leiser zugeht.
Das Mittelrheintal ist damit ein prominentes Beispiel dafür, wie Güterzüge zum Umweltdebakel geraten können. Dabei wird ein großer Zuwachs der Güterverkehrsströme prognostiziert, an denen die Bahn mindestens ebenso partizipieren soll wie der Lastkraftwagen. Nun haben Prognosen für den Bundesverkehrswegeplan einen schlechten Ruf. Nehmen wir aber an, die Bahn würde dennoch – wie im Bundesverkehrswegeplan ausgewiesen – tatsächlich am wachsenden Güteraufkommen beteiligt. Dann ginge es den Anrainern wegen der Additionsregeln des Schalls nur wenig schlechter. Für den Fall, dass die Mittelrheinstrecke an ihre Kapazitätsgrenze stößt, soll eine Ausweichstrecke aus dem Frankfurter Raum über Siegen nach Hagen und Troisdorf bei Köln helfen. Die Entlastungswirkung wäre allerdings winzig, räumen die Gutachter des Bundesverkehrsministers in einem gesonderten Gutachten ein und weisen darauf hin, dass die Anrainer der Ausweichstrecke ein ähnliches Schicksal erleiden würden wie heute die des Mittelrheintals. Da haben die Gutachter die Additionsregeln des Schalls korrekt interpretiert. Aber warum gelangt eine solche Ausweichstrecke dennoch in den vorrangigen Bedarf im Bundesverkehrswegeplan?
Der Infarkt droht schon heute
Irgendwie scheint es dem Bundesverkehrsministerium zu dämmern, dass die Zustände im Mittelrheintal nicht tragbar sind – und das nicht nur wegen des Bahnlärms. Die Gleise liegen auf einem Unterbau aus dem 19. Jahrhundert, zum Teil auf Terrassen an steilen Hängen. Fällt eine der beiden Strecken aus, gibt es keine nennenswerte Ausweichmöglichkeit. Es ist aber absehbar, dass Sanierungen notwendig werden. Die können dazu führen, dass über längere Zeit beide Gleise links oder beide Gleise rechts des Rheins gesperrt werden müssen. Damit droht dem Eisenbahnverkehr auf Europas stärkster Güterverkehrsachse ein Infarkt nicht erst 2030, sondern schon heute.
Eine oberirdische Güterverkehrsstrecke als Ersatz neu zu bauen ist angesichts des zu erwartenden Aufstands künftiger Anrainer faktisch nicht möglich. Deshalb gibt es nur die Option eines Tunnels speziell für Güterzüge. Aber da hat der Verkehrsminister ein Problem. Einerseits will er den Anrainern im Mittelrheintal Verständnis signalisieren, andererseits würde die Festlegung auf einen Güterzugtunnel seinen Investitionsrahmen für die Schiene sprengen. In diesem Spagat hat Minister Dobrindt eine neue Kategorie von Projekten im Verkehrswegeplan geschaffen: „diskutierte Projekte“. Das signalisiert Verständnis, erlaubt aber, sich nicht festzulegen.
„Diskutiert“ werden dabei ein rechtsrheinischer und ein linksrheinischer Tunnel. Eigentlich kommt nur ein rechtsrheinischer Tunnel in Frage, in den – mit entsprechend aufwendigen Anpassungen im Zulauf – alle Güterzüge aus dem Mittelrheinteil verbannt werden könnten. Die Gutachter fordern weitere Untersuchungen, um eine Entscheidung treffen zu können. Aber in zwei Nachsätzen geben sie zu verstehen: Nur der rechtsrheinische Tunnel ist eine Option. Die Kosten für solch einen Bau, der kein Basistunnel wäre, sondern zwischendurch auch oberirdische Abschnitte aufwiese, werden mit etwa sechs Milliarden Euro veranschlagt. Hinzu kommen Anpassungen im Zulauf, die allerdings auch den großen Nutzen stiften würden, das Frankfurter Kreuz leistungsfähiger zu machen, das für unzählige Verspätungen im Bahnverkehr verantwortlich ist.
Mit rund sechs Milliarden Euro wäre solch ein Tunnel preiswerter als die Unterkellerung des Stuttgarter Hauptbahnhofs („Stuttgart 21“) mit seinem winzigen strategischen Nutzen für die Bahn. Sie sind auch geringer als die für die ICE-Strecke von Erfurt nach Nürnberg, auf der nur ein ICE pro Stunde und Richtung sowie ein paar Sprinter-ICE am Tagesrand rollen werden. Aber Güterverkehr ist nicht so sexy wie der ICE. Deshalb wird der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene weiter schrumpfen. Das Mantra „Güter gehören auf die Bahn“ bleibt Wunschdenken ohne Plan.
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Wunschdenken und Geheimniskrämerei
Wunschdenken und Geheimniskrämerei Im Jahr 1996 schaffte die deutsche Eisenbahn 70 Milliarden Tonnenkilometer. Laut dem damals aktuellen Bundesverkehrswegeplan waren bis zum Jahr 2003 194 Milliarden prognostiziert worden. Dafür hätte der Güterverkehr auf der Schiene in sieben Jahren um mehr als das Zweieinhalbfache steigen müssen. Das glaubte nicht jeder, weshalb es darüber zu einer öffentlichen Anhörung im Verkehrsausschuss des Bundestages kam. Dabei räumte der Vertreter der Deutschen Bahn (DB) ein, sein Unternehmen habe eine eigene Prognose angestellt, die inzwischen niedriger ausfiele. Dann erklärte er: „Natürlich hat unser Vorstand mit dem Bundesverkehrsminister diskutiert. Dieser hat ganz präzise gesagt: Wir halten an der hohen Prognose fest. Der Verkehrsminister dokumentiert hiermit, dass er verkehrspolitisch handeln wird, um diese Prognosen auch eintreten zu lassen. Darauf vertrauen wir.“ Der Kommentar eines Abgeordneten dazu: „Ich bedaure, dass sich Herr X. (der Vertreter der DB) zu einer extremen Religiosität gezwungen sah.“ Comedy im Bundestag – und die Prognose wurde drei Jahre später von 194 auf 94 Milliarden Tonnenkilometer zurückgenommen. Und heute? Zwischen Basel und Karlsruhe wollten Hansjörg Drewello von der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl und Ingo Dittrich von der Hochschule Offenburg die Auslastung beurteilen. Die Deutsche Bahn verweigerte ihnen die Zugzahlen mit der Begründung, das sei ein „Betriebsgeheimnis“. Die Forscher halfen sich selbst und montierten südlich von Offenburg eine Infrarotkamera. Ergebnis: auf dem noch zweigleisigen Streckenabschnitt fuhren zwischen dem 14. bis 27. Februar 2013 bis zu 286 Züge, davon 163 Güterzüge. Das ist ziemlich genau die Kapazitätsgrenze dieser zweigleisigen Mischstrecke. Wenn die DB dann aber verkündet, ausreichende Kapazität bei Offenburg würde erst im Jahr 2035 mit der Fertigstellung des Güterzugtunnels (siehe Haupttext) zur Verfügung stehen, so verträgt sich das schlecht damit, bis dahin eine drastische Steigerung der Verkehrsleistung zu prognostizieren. Die Prognose war bereits zu einem Zeitpunkt unsinnig, an dem der Verkehrswegeplan beschlossen wurde. Der schlechte Ruf von Verkehrsprognosen bleibt. Die komplexen Modelle, mit denen Beratungsunternehmen die Prognosen erzeugen, behalten diese lieber für sich, dann werden auch die Ausgangsdaten zu „Betriebsgeheimnissen“ erklärt. Und wann bis 2030 die Neu- und Ausbauprojekte in Betrieb gehen und die großen Zuwächse an Gütern aufnehmen können, bleibt ebenfalls im Dunkeln.