KEIN Tunnel ?

Artikel in der Rhein Zeitung vom 16.05.2018

Tunnel: Jetzt sieht die Bahn gar keinen Bedarf

Ärger: Sinneswandel des Konzerns zu einst als nötig betrachteter Sanierung bei St.Goar sorgt für große Irritation

Von unserem Chefreporter Volker Boch

Oberwesel/St. Goar. Fast fünf Jahre sind vergangen, seitdem erstmals über einen neuen Bahntunnel zwischen Oberwesel und St. Goar gesprochen wurde. Von der lokalen bis zur Bundespolitik haben sich in dieser Zeit zahlreiche Impulsgeber für die Variante „pink“ ausgesprochen, eine als Umfahrung der beiden Städte am Mittelrhein gedachten langen Tunnelvariante. Der Bundestagsabgeordnete Peter Bleser wurde auf überregionaler Ebene zu einem wichtigen Fürsprecher der Bewegung, die unter anderem auch die engagierte Bürgerinitiative „Oberwesel 22“ umfasst. Und jetzt? Herrscht eine Mischung aus Niedergeschlagenheit und Verärgerung. Denn die Deutsche Bahn erklärt, dass sie gar keinen Neubau plant – von einer einst als drängend beschriebenen Sanierung ist keine Rede mehr.

Es ist ein Abend, an dem klare Worte über den Tisch gehen. Der Tisch steht im Büro des Oberweseler Stadtbürgermeisters Jürgen Port, und neben dem Hausherrn sitzen mit Blick auf den Oberweseler Marktplatz Vertreter der Bürgerinitiative, Peter Bleser und St. Goars Stadtbürgermeister Horst Vogt am Tisch. Der Blick geht voraus auf die Stadtmauer, über die im Takt weniger Minuten auch an diesem Abend lange, schwere Güterzüge rattern. Die sogenannten Flüsterbremsen sind längst noch nicht die Regel, am Mittelrhein nimmt die Verärgerung auf die Deutsche Bahn gefühlt immer weiter zu.

Zwar gibt es den Beirat „Leiseres Mittelrheintal“, der vieles bewegt hat, es gibt engagierte Initiativen wie „Pro Rheintal“, die in den vergangenen Jahren unter anderem die Wissenschaft bemüht haben, um auf die gesundheitsbelastenden Auswirkungen von Lärm insbesondere auf das Herz-Kreislauf-System und immense Probleme hinzuweisen. Es gibt Politiker, die sich lokal wie überregional engagieren – und einen Konzern, an dem viel abzuprallen scheint.

Ein exemplarischer Vorgang?

Dies alles hat nicht allein mit dem Problem zwischen Oberwesel und St. Goar zu tun, mit einer Strecke, bei der die Deutsche Bahn vor gut fünf Jahren selbst einen dringenden Sanierungsbedarf rund um die drei Tunnel aus dem mittleren 19. Jahrhundert beschrieben hat. Aber dieser Fall wirkt exemplarisch: Die Bahn informierte zunächst Journalisten über den Sanierungsbedarf an Bank-, Bett- und Kammerecktunnel. Die Feststellung lautete, dass die drei alten Tunnelbauwerke umfassend erneuert werden müssten, damit der Schienenverkehrsweg weiter genutzt werden könne. Daraufhin wurde ein Arbeitskreis initiiert, der die Region mit der Bahn zusammenbrachte.

Es schien, als würde die Zeit sehr drängen. Die Bahn erklärte im Oktober 2013, dass mit dem Beginn des Baus eines neuen Tunnels frühestens Mitte 2018 gerechnet werden könne. Daraus wird nichts. Im Gegenteil, die Bahn scheint jetzt zu denken, dass ein neuer Tunnel gar nicht nötig ist. Jürgen Konz, Konzernbevollmächtigter für die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland, erweckt diesen Eindruck in einer E-Mail, die der Bundestagsabgeordnete Bleser Ende April erhalten hat. Darin beantwortet Konz Fragen des Abgeordneten, der sich in vielen Gesprächen auch mit Bundesverkehrsministerium und Bahn-Spitze für den Tunnel in Variante „pink“ stark gemacht hat.

Die Antworten des Konzernbevollmächtigten machen zwei Dinge deutlich: Die Bahn sieht überhaupt keinen Bedarf, an den bestehenden alten Tunneln, denen sie selbst vor fünf Jahren einen dringenden Sanierungsbedarf attestierte, etwas zu ändern. „Es existiert keine Befristung einer ,Betriebsgenehmigung‘ für die betroffenen Tunnel“, schreibt Konz und sorgt allein damit für Verwunderung. Des Weiteren heißt es: „Die Tunnel können heute wie in Zukunft uneingeschränkt im Begegnungsverkehr benutzt werden. Außergewöhnliche Transporte bedürfen ggf. einer Einzelfalluntersuchung.“ Damit erklärt sich, dass die Bahn ein vorgeschaltetes Raumordnungsverfahren derzeit nicht in Erwägung zieht, wie Konz erläutert.

Gleichgültige Haltung?

Bleser ist ein erfahrener Politikdiplomat. Die Region will mit der Bahn im Dialog bleiben. Doch die Verärgerung ist Bleser an diesem Abend in Oberwesel genauso anzumerken wie den Mitstreitern aus der Region. Nach jahrelangen Diskussionen wird die Haltung des Konzerns als gleichgültig gegenüber den Menschen betrachtet.
„Die Diskussion läuft jetzt seit fünf Jahren“, erklärt Bleser, „und jetzt sagt die Bahn, dass sie gar nichts unternehmen muss.“ Nur zu gut erinnern sich die Teilnehmer der Gesprächsrunde an die Sitzungen des Arbeitskreises, in denen klar über eine notwendige Sanierung gesprochen wurde. Die Öffentlichkeit war zu diesen Sitzungen zwar nicht zugelassen, aber das finale Signal war deutlich: Es soll einen neuen Tunnel statt der alten drei Bauwerke geben – und es soll die „pinke“ Umfahrung von St. Goar und Oberwesel werden. Zuletzt hatte der Welterbebeauftragte der Landesregierung, Salvatore Barbaro, in einem umfangreichen Schreiben noch einmal deutlich gemacht, dass diese Variante die welterbeverträglichste ist.

Nicht nur für die Bürgerinitiative ist irritierend, dass die Bahn sich in den letzten Jahren zu dem Projekt, das zu Beginn so drängend erschien, offiziell nicht mehr geäußert hat. Dass das Unternehmen plötzlich keinen akuten Bedarf einer Sanierung mehr erkennt, betrachtet Oberwesels Stadtbürgermeister als „völligen Sinneswandel“. Die Verantwortlichen würden heute „ohne Rot zu werden“ etwas anderes erzählen als zu Zeiten des Arbeitskreises. Das wollen die Befürworter von „pink“ nicht dulden.

Rhein-Hunsrück-Zeitung vom Mittwoch, 16. Mai 2018, Seite 15

Artikel zum Download: RZ Kein Tunnel_16_05_2018

Stellungnahme „Pro Rheintal“: RZ Kein Tunnel ProRheintal_18_05_2018

Kommentar

Volker Boch zum Tunnelneubau, der doch nicht nötig ist

Ein groteskes Verhalten des Bahn-Konzerns

Die Deutsche Bahn ist am Mittelrhein wohl immer für eine Überraschung gut. Vor gut fünf Jahren hat sie selbst den sanierungsbedürftigen Zustand der drei alten Tunnel zwischen St. Goar und Oberwesel öffentlich gemacht. Sich fünf Jahre danach hinzustellen und zu erklären, dass sie überhaupt keine Notwendigkeit für eine Sanierung erkennt, ist für sich allein genommen bereits bemerkenswert. Grotesk wirkt dieses Verhalten allerdings vor dem Hintergrund, dass Monate damit verbracht wurden, um in einem Arbeitskreis sozusagen im Schulterschluss mit der Region und mit Experten darüber zu beraten, wie sich ein Tunnelneubau am besten darstellen ließe.

Heraus kam beim Arbeitskreis gerade auch mit Blick auf den Unesco-Status der Region die Variante „pink“, also die lange Umfahrung von St. Goar und Oberwesel. Vielleicht ist dieses Ergebnis so heute nicht mehr von der Bahn gewünscht. Vielleicht ist dieser Tunnel zu teuer. Vielleicht pokert der Konzern im Kampf um die Finanzierung aber auch nur. Vielleicht hofft die Bahn, dass bei einer möglichst sturen Haltung die Politik bei der Finanzierung einspringt – und den Bau aus Sondermitteln bezahlt und nicht aus dem milliardenschweren Instandhaltungstopf, welcher der Bahn vom Bund zur Verfügung gestellt wird.

Das ist alles Spekulation. Es bleibt wie immer bei der Bahn: spannend. Einmal mehr allerdings fühlt sich die Region Mittelrhein von dem Konzern verschaukelt. Es ist schließlich nicht so, als würde es bei den Themen Bahn, Lärm und Mittelrheintal immer transparent zugehen. Ganz im Gegenteil. Sich jetzt allerdings hinzustellen und zu erklären, dass zwischen St. Goar und Oberwesel entgegen dem selbst aufgebrachten Sanierungsbedarf gar kein Tunnelneubau notwendig ist, ist mindestens überraschend. Auf diejenigen, die sich seit Jahren für das Thema Tunnel engagieren, wirkt es vor allem: ziemlich dreist.

Rhein-Hunsrück-Zeitung vom Mittwoch, 16. Mai 2018, Seite 15