Gesundheitsschädlicher Schienenlärm

Neue Studie im Auftrag des Landes Hessen zur „Gesundheitsschädlichkeit von Schienenverkehrslärm in der Nacht“ veröffentlicht.

Das Gutachten im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz kommt in der Studie zusammenfassend zu folgenden Ergebnissen (S.14/15):

… (Es) lässt sich aus vorliegendem Gutachten ableiten, dass mit der derzeitigen Beurteilungssystematik nur auf der Grundlage von Mittelungspegeln ein ausreichender Schutz des Nachtschlafes von Bahnanrainern nicht gewährleistet ist.

Insbesondere für Anwohner im Nahbereich von Bahnstrecken ist die Berücksichtigung sowohl der Höhe der Maximalpegel als auch der Häufigkeit der Bahnlärmereignisse für eine angemessene Beurteilung des nächtlichen Schienenverkehrslärms erforderlich.

Zu diesem Zweck wurde in diesem Gutachten ein Verfahren entwickelt, das auf der Grundlage der bestehenden Rechenvorschrift „Schall 03“ eine Berechnung des Maximalpegels ermöglicht. Zur Beurteilung der Wirkung nächtlichen Bahnlärms werden Ergänzungen der maßgeblichen Verordnungen vorgeschlagen, die sowohl die Höhe des Maximalpegels als auch die Anzahl der Aufwachreaktionen bei Nacht berücksichtigen. …“

Das Gutachten als .pdf-Download:
https://umwelt.hessen.de/sites/default/files/media/hmuelv/schlussbericht.pdf

Abbildung: „Bahnfreundlicher“ Mittelungspegel im Vergleich zum „aufwachreaktions-relevanten“ Maximalpegel (zum Vergrößern bitte „anklicken“)

Nachfolgend eine aktuelle Pressemitteilung der „Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V.“ zu dieser Studie und den aktuell laufenden Sondierungs- gesprächen einer möglichen „Jamaika-Regierungskoalition“ auf Bundesebene:

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Pressemitteilung BVS e.V. / Berlin, 20.10.2017

Aktuelles wissenschaftliches Gutachten im Auftrag des Landes Hessen beweist die Gesundheitsgefahren nächtlichen Schienenlärms
BVS fordert die Bundesregierung auf, endlich zu handeln und bereitet eine Verfassungsbeschwerde vor

Am 12. Oktober 2017 wurde in Berlin das vom Bundesland Hessen in Auftrag gegebene wissenschaftliche „Gutachten zur Berücksichtigung eines Maximalpegels bei der Beurteilung von Schienenverkehrslärm in der Nacht“[1] der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Verfasser aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Köln, dem Zentrum für angewandte Psychologie, Umwelt und Sozialforschung, Hagen, sowie der Möhler und Partner Ingenieure AG, München, kommen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass

die derzeitige Beurteilungsgrundlage zur gesundheitlichen Auswirkung von Schienenlärm unrealistisch ist, weil nur ein theoretischer „Mittelungspegel“ betrachtet wird, aber Schlafstörungen durch die Spitzenpegel vorbeifahrender Güterzüge unzureichend berücksichtigt bleiben,
• mit der derzeitigen Verkehrslärmschutzverordnung (so genannte „Schall 03“ ) Gesundheitsgefahren durch nächtliche Güterzüge in Kauf genommen werden.

Die Gutachter halten es daher für unerlässlich, dass die Spitzenpegel der vorbeifahrenden Güterzüge für die Bemessung der Lärmschutzmaßnahmen mit herangezogen werden. Diese Erkenntnis liegt eigentlich für jedermann „auf der Hand“, da der Bahnanlieger von dem konkreten Spitzenlärm des vorbeifahrenden Güterzuges aufwacht und nicht von einem abstrakt-theoretischen „Mittelungspegel“, der wegen der Einberechnung der Ruhepausen zwischen zwei Zügen weit unter dem Spitzenpegel liegt.
Das nun vorliegende Gutachten bestätigt diese offensichtliche Tatsache auch wissenschaftlich. Der Gesetzgeber hatte diese Erkenntnis trotz massiver Kritik der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. und anderer Institutionen hartnäckig ignoriert und auch noch 2014 bei der Novellierung der Verkehrslärmschutzverordnung unbeachtet gelassen.
Auch das Land Hessen hatte damals die Kritik der BVS u.a. geteilt. Es ist zu begrüßen, dass es mit der Vergabe des Gutachtens das Thema erneut in die Diskussion gebracht hat.
Bereits 2014 hatte die BVS auf die eindeutige Verfassungswidrigkeit der Berechnungsvorschriften hingewiesen und sich nun zu einer Verfassungsbeschwerde entschlossen, da der Gesetzgeber seiner nach Art. 2 Abs. 1 GG bestehenden Pflicht zum Schutz der Gesundheit auch der Bahnanlieger offensichtlich nicht nachkommen wollte.

Nachdem die vom Schienenverkehrslärm ausgehenden Gesundheitsgefahren inzwischen durch zahlreiche in- und ausländische Gutachten wissenschaftlich eindeutig bewiesen sind, fordert die BVS alle politischen Parteien, die Bundesländer und vor allem die künftige Bundesregierung auf, unverzüglich der Erkenntnislage Rechnung zu tragen und in eine Koalitionsvereinbarung umzusetzen, damit in der neuen Legislaturperiode

der Zielwert der WHO von 40 dB(A) nachts, außen, als Lärmgrenzwert gesetzlich verankert wird,
• ein Rechtsanspruch aller Anlieger von Bestandsstrecken auf Lärmsanierung begründet wird, die Lärmsanierungszielwerte auf die Vorsorgewerte der Verkehrslärmschutzverordnung herabgesetzt und die Lärmsanierungsmittel im Haushalt vervielfacht werden, damit die Lärmsanierung innerhalb längstens 10 Jahren vollständig abgeschlossen werden kann,
• die bereits in der vorigen Koalitionsvereinbarung versprochene Gesamtlärmbetrachtung in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird,
• ein Spitzenpegelkriterium in die Verkehrslärmschutzverordnung eingeführt wird, damit Schlafstörungen der Bahnanlieger sicher vermieden werden,
alle Lärmschutzmaßnahmen künftig nicht nur nach rechnerischer, sondern ergänzend auch nach messtechnischer Ermittlung der Immissionen bemessen werden,
• ein Anspruch auf Lärmvorsorge bei jeder Art baulicher oder signaltechnischer Ertüchtigung einer Strecke gesetzlich normiert wird und
• der „übergesetzliche Lärmschutz“ gemäß dem TEN-T-Beschluss des Bundestags gesetzlich normiert wird.

gez.: Dr. Armin Frühauf  1. Vorsitzender / Dr. Ludwig Steininger  2. Vorsitzender

Kontakt
Tel. 030-2016 4091, Email presse@bvschiene.de
https://www.bvschiene.de

Über die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. (BVS):
Die BVS wurde 1995 gegründet und setzt sich seitdem für die Minderung der Emissionen aus dem Schienenverkehr, insbesondere gegen Lärm und Erschütterungen, ein. Die BVS wirkt seit 2010 als ein nach §3 UmwRG vom Umweltbundesamt anerkannter Umweltverband.

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BVS-Pressemitteilung als .pdf-Download: BVS-PM-Maximalpegelgutachten

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Nachtrag 9.11.2017:

Artikel in der Rhein-Zeitung v.09.11.2017  Bahnlärm tangiert die Grundrechte

(zum Download bitte anklicken): RZ 09.11.2017